Orient Express Kampagne

Spielbericht – Session 10 (9.2.1920)

                                                                                                      

Venedig, Montag 09. Februar 1921

Meine liebe Ameena,

Es ist sehr angenehme wieder mal etwas länger an einem Ort zu sein. Bisher mussten wir ja jeden Ort nach kurzer Zeit fluchtartig verlassen. Ich bin schon gespannt, wann es hier so weit sein wird…

Wir haben unser Wochenende mit einem gemütlichen Frühstück in unserem Hotel begonnen. So ganz ungetrübt war es allerdings nicht. Immer wieder schwebte ein garstiger Lagunengeruch vorbei. Nicht mal die überall im Hotel verteilten Schalen mit Potpourri halfen den Gestank zu überdecken.

Danach war für Luzia schon Zeit sich auf dem Polizeiposten zu melden. Donatella begleitete sie netterweise. Dort wurde ihnen aber mitgeteilt, dass sich Commandante Arturo an einem Tatort befindet. Für eine "angemessene" Bezahlung wurde ihnen auch mitgeteilt wo. Und so fanden sie sich etwas später wieder bei uns ein. Denn der Tatort war nur 100 Meter von unserem Hotel entfernt.

Uns bot sich ein schrecklicher Anblick. (Ich hoffe du sitzt jetzt nicht bei einem Stück Kuchen.) Durch die laienhafte Absperrung konnten wir sehen, wie zwei Polizisten versuchten einen Körper aus den Zaunspitzen herauszulösen. Er war richtiggehend darin verkeilt. Der Tote war schrecklich entstellt. Seine Bauchdecke war offen und die Eingeweide traten heraus. Wir konnten uns nicht vorstellen wie das passiert sein konnte. Gesprungen konnte der Mann nicht sein, da die Häuser allesamt zu weit weg waren. Und dass ein Mensch eine so furchtbare Tat begeht, will ich auch nach allem was wir schon gesehen haben, einfach nicht glauben.

Zurück im Hotel benötigten wir zuerst eine hochprozentige Stärkung. Und lasen dabei den Brief, der für uns abgegeben wurde: Es war die Einladung zur Beerdigung von Marias Vater für den Sonntag um 16 Uhr auf dem Cimitero San Michele.

Wir verliessen das Hotel wieder, um uns für den Ball von heute Abend schön zu machen. Dabei gerieten wir in einen eher eigentümlichen Brauch des Karnevals, der sich dann sehr schnell als unerfreulicher Angriff auf uns entpuppte. Ein Matachino warf ein mit Rosenwasser gefülltes Ei an eine Hauswand. Anscheinend bewerfen sie damit die Hauswände ihrer Geliebten. Ein zweiter Matachino tauchte auf und bewarf dieselbe Hauswand. Man kann sich vorstellen, dass das kein gutes Ende nehmen konnte: Sie begannen sich gegenseitig zu bewerfen, der eine duckte sich und ein Ei flog in unsere Richtung. Naja, es gibt schlimmeres als Roserwasser, wie ich am nächsten Tag noch herausfinden sollte. Weitere Matachinos tauchten auf und wir wurden ihre Zielscheiben. Plötzlich flogen richtige Eier. Zum Glück halfen uns einige Passanten und ein Gondoliere. Luschenka funktionierte ihre Tasche zu einem Schlaginstrument um und erwischte einen der Übeltäter. Es gelang ihr sogar ihm die Maske zu entreissen.

Bevor wir am Abend zum Ball aufbrachen, wollten wir uns noch die Madonna im Markusdom ansehen. Anscheinend hatte sie während dem Abendgottesdienst angefangen Blut zu weinen. Aber es war kein Durchkommen. Ganz Venedig war wohl auf dieselbe Idee gekommen. 

Giorgio wartete schon auf uns im Hotel. Und ich muss sagen, seine Verkleidung als "wilder Mann" mit Lederhosen und Weinranken um seinen Oberkörper war sehr gut gewählt. Angelina konnte den ganzen Abend ihre Augen nicht mehr von ihm lassen. 

Die Gondel als Transportmittel finde ich ja sehr romantisch, aber der Geruch der Lagune wird immer schlimmer. Der Palazzo war wunderbar geschmückt. Im Ballsaal überall Spiegel und üppige Dekoration, auf einer Empore eine Kapelle auf der anderen die Gastgeber und in den Nebenräumen bequeme Sofas oder Buffets mit allen erdenklichen Speisen. 

Die Gäste kamen teilweise von weit her, man konnte wohl alle Sprachen hören. Und sie trugen die wildesten Kostüme. Luschenka war fasziniert von einer grossen Gestalt mit einem schwarz-roten Umhang und einem goldenen Löwenkopf. 

Wir liessen uns sofort in den Trubel hineinziehen und begannen zu tanzen. Immer mal wieder trafen wir uns im Getümmel, aber von Luschenka war die ganze Zeit nichts zu sehen. Zu bereits fortgeschrittener Stunde begannen wir uns dann Sorgen zu machen. Nach einigem Suchen fand Luzia sie ohnmächtig auf einem Chaise Long. Sie erwachte nur langsam, war sehr verwirrt und konnte sich an nichts mehr erinnern seit wir zu tanzen angefangen hatten. 

Am nächsten Morgen wünschten wir uns wohl alle, dass wir früher gegangen wären. Mein Kopf war immer noch etwas Sturm. Und dann mussten wir uns schon wieder eine schauerliche Geschichte anhören: In der Nacht ist wieder ein Mord geschehen. Diesmal hat es einen Gondoliere getroffen. Man hat seinen auseinander gerissenen Körper in seiner Gondel gefunden. 

Wir machten uns nochmals auf zum Dom. Und diesmal hatten wir mehr Glück. Wir konnten bis zur gut bewachten Madonna gelangen. Mit einer äusserst fantasievollen und rührenden Märchengeschichte gelang es Donatella die Statue und die blutigen Tränen zu berühren. Sie hat ein eindrückliches Talent zur Schauspielerin. Wie wir uns hätten denken können, hat sich das Blut als Wasser und Farbe herausgestellt. So viel zu Wundern der Kirche… 

Und schon wieder gings zu einem unerfreulichen Ort: dem Friedhof. Es fing schon auf dem Weg an. Das Wasser im Canale Grande schien noch schwärzer und ekliger als sonst. Man konnte sogar einige tote Tiere darin entdecken. Donatella entfuhr sogar "Wie kann man hier nur leben!", bevor ihr in den Sinn kam, dass sie tatsächlich hier wohnt. 

Es waren viele Trauergäste, die Marias Vater die letzte Ehre erwiesen. Unter Ihnen auch ein paar uns bekannte Gesichter. Giorgio stand etwas abseits und auch der unsympathische Alberto Rossini ist aufgetaucht. Der grosse Sarg war mit schönen Blumen geschmückt. Das Leichenmahl wurde dann im Palazzo in der Stadt abgehalten. Von Giorgio erfuhren wir den Grund für den Streit zwischen ihm und seinem Vater. Sein Vater war mit seinem Lebenswandel und einer geplanten Heirat nicht einverstanden. 

Bald verabschiedeten wir uns von Maria und verliessen mit Giorgio den Palazzo. Wir stiegen in eine Gondel die uns ins Hotel zurückbringen sollte. Da der Canale Grande angeblich den ganzen Tag gesperrt sein sollte (was offensichtlich nicht stimmte, da wir ihn heute ja schon benutzt hatten) fuhren wir durch ein immer schäbiger werdendes Quartier. Wir beschwerten uns natürlich beim Gondoliere. Nach einiger Argumentation wollte er uns ans Ufer bringen. Aber als wir sahen wer dort stand, wussten wir, dass wir in eine Falle geraten waren: Männer in schwarzen Uniformen warteten dort auf uns. Ein Kampf entbrannte und während dem Giorgio verletzt wurde und ich ins Wasser fiel. Aber das ist etwas, das ich so schnell wie möglich vergessen will! Die Uniformierten traf es aber schlimmer und wir konnten zurück ins Hotel entkommen. 

Zum Frühstück hörten wir dann die tägliche Mordgeschichte. Diesmal wurde ein junges Liebespaar in bestialisch ermordet. Ihre Leichen fand man blutleer in einer Gasse. Angelina und Cathrine wollten sich dies genauer ansehen. Fanden aber leider nichts Neues heraus. 

Wir anderen besuchten die Puppenfabrik. Zur Tarnung gaben wir uns als Inhaberinnen eines Puppengeschäftes in Deutschland aus. Antonio Gremanci empfing uns persönlich. Ein älterer Herr mit etwas altmodischen Kleidern aus etwa 1890. Wir konnten ihn zu einer Führung durch die Fabrik überreden. Sebastiano Gremanci übernahm diese. Und zeigte uns die Puppenfertigung, das Lager mit den fertigen Puppen, aber auch Prothesen. Dies fanden wir dann schon sehr viel spannender. Aber ausser dass ein alter Lagerraum kürzlich zugemauert werden musste erfuhren wir leider nicht viel Interessantes. 

Heute Nachmittag hat die Polizei nun erstmal ein Maskenverbot verhängt. Sie hoffen so, die nächtlichen Morde zu stoppen. 

Ich bin gespannt, was wir hier alles noch herausfinden. Und hoffe, dass diese schreckliche Mordserie ein schnelles Ende findet. 

Liebste Grüsse,

Mayumi

 

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