Orient Express Kampagne

Spielbericht – Session 11 (10.2.1921)

                                                                                                      

            Venedig, Dienstag 10. Februar 1921

 

Meiner lieben Freundin Charlotte

 Ach Charlotte, meine Liebe! Venedig, so schön die Stadt auch sein mag, scheint uns nicht hold zu sein. Seit Tagen irren wir in der Stadt herum, auf der Suche nach einem Zeichen, einem Hinweis. Die wenigen Hinweise, die wir bisher fanden, lösten sich bei genauerer Betrachtung in nichts auf und allmählich wissen wir nicht mehr, wo wir noch suchen sollten. Ein solcher Verlauf unseres Abenteuers schien uns bisher unvorstellbar, flogen uns doch die Hinweise bisher nur so zu. Du kannst Dir sicherlich denken, dass darob unser Enthusiasmus etwas erlahmt ist. Und zu allem Übel scheint auch das Wasser immer schwärzer, schmutziger und stinkiger zu werden.

Das wenige, dass sich seit meinem letzten Brief ereignet hat, ist schnell erzählt.

 Louisa und Lucy – Du erinnerst Dich, Louisa mussten wir schwer verletzt in der Obhut der barmherzigen Schwestern in Mailand zurücklassen und Lucy blieb bei ihr- sind endlich in Venedig eingetroffen. Wir sind also wieder komplett.

 In der Nacht geschahen wieder neue, schreckliche Morde. Es ist bereits das vierte Mal, dass der Mörder, oder die Mörder, zugeschlagen haben. Die Angst in der Bevölkerung wird immer grösser. Zumal es nach wie vor keine Verdächtigen gibt. Diesmal waren drei Bettler die badauernswerten Opfer. Man fand sie, ausgeweidet und die Gesichter zu Fratzen zerschnitten, unter der Brücke bei der Suppenküche der Obdachlosen. Es bleibt anzufügen, dass es sich dabei wahrscheinlich nicht um den Tatort handelt, denn dafür war die vorgefundene Menge Blut einfach zu gering.

 Wir gingen noch einmal zur Puppenfabrik. Es musste uns einfach gelingen, in den alten Lagerraum zu kommen. Wir waren sicher, da etwas zu finden, dass uns weiter bringt. Vielleicht gar ein Stück der Statue oder eine der Schriftrollen, aber doch zumindest ein Hinweis. Wir beschlossen, dass Louisa, Lucy und ich hineingehen, denn uns kannten sie noch nicht.  Wir sollten versuchen, dass kleine Fenster zum Seitengässchen zu öffnen um einen späteren Einstieg zu haben falls wir jetzt nichts fänden.

Louisa gab sich als Sammlerin alter, mechanischer Puppen aus. Problemlos gelang es Lucy, das Toilettenfenster einen Spalt breit zu öffnen. Es brauchte auch nicht allzu viel Überredungskunst und der Gremanci-Neffe Edoardo zeigte uns das Lager mit den alten Teilen. Louisa möchte nämlich eine mechanische Puppe, nach alter Art und mit Original-Bauteilen.

Das alte Lager war ein düsterer, muffiger Ort, vollgestopft mit Puppenteilen und über allem lag eine dicke Staubschicht. Edoardo begann, in den Regalen zu wühlen. Tatsächlich zog er passende Bauteile hervor. Arme, Beine, ein Fuss. Auch einen Kopf zauberte er hervor. Mein Herzschlag wurde schneller; handelte es sich dabei vielleicht um eines der gesuchten Teile?

Edoardo schien den zweiten Fuss gefunden zu haben. Doch in dem Moment sprang eine Maus hervor und der gute Edoardo erschreckte sich beinahe zu Tode. Sein Herz machte einen Hüpfer. Mit Mühe gelang es uns, Edoardo zur Türe zu bringen. Lucy spritzte ihm etwas und Louisa, selber bereits sehr erschöpft von der Anstrengung und der staubigen Luft, blieb bei ihm.

Welch glücklicher Zufall, der Maus gebührte unser Dank! Jetzt hatten wir Zeit, uns ganz in Ruhe und ohne vor allem ohne fremde Augen, umzusehen. Zu unserer grossen Enttäuschung entpuppten sich die Puppenteile als genau das, was sie vorgaben zu sein: alte, staubige Puppenteile. Keine Spur von unserer Statue. Liebste Charlotte, Du kannst Dir meine Enttäuschung wohl vorstellen!

Am Ende des Raumes entdeckten wir eine Tür. Mit etwas Mühe stemmten wir sie auf, sie war schon ziemlich eingerostet und wurde wohl schon länger nicht mehr benutzt. Der Raum dahinter war noch düsterer und stickiger als der davor und die Staubschicht schien noch dicker zu sein. Aber nichts erinnerte an den Geruch in Poissy, es war einfach staubig und modrig. Wir entdeckten auch nicht die geringsten Anzeichen von etwas klebrigem. Es gab also nichts, was auf die Anwesenheit eines Teils der Statue schliessen liess. Stattdessen war der Raum voll mit Metallkassetten. Die Kassetten enthielten Schriftrollen und waren ganz offensichtlich das Archiv der Puppenfabrik. Leider sind weder Lucy noch ich des Italienischen mächtig, daher konnten wir die Schriftrollen nicht lesen. Sie schienen aber die Aufzeichnungen über sämtliche Geschäftstransaktionen zu enthalten. Wir brauchten ziemlich lange, bis wir die Beschriftung der Kassetten richtig entziffern konnten. Das Archiv reicht bis in die Anfänge der Fabrik zurück. Nach langer Suche fanden wir die Rollen mit den Jahreszahlen von 1789, 1763, 1764. Irgendwann in dieser Zeit müssen die Teile der Statue verteilt worden sein. Ich steckte die betreffenden Rollen ein und wir verliessen die Fabrik.

Leider enthielten auch die Schriftrollen nicht den leisesten Hinweis und wir sind immer noch genau so schlau wie vorher.

 Wenigstens konnten wir den Tag mit einer guten Tat beschliessen:

Marias Zofe Rebecca stattete uns einen Besuch ab und berichtete, dass Maria von Rossini unter Hausarrest gesetzt worden sei. Wir beschlossen, Maria mit Giorgios Hilfe zur Flucht zu verhelfen.

Unser sorgfältig ausgearbeiteter Plan sah vor, dass Rebecca die Wachen mit Laudanum im Essen betäuben soll, wir, beziehungsweise Louisa und Lucy einen Kontrollbesuch machen sollen und Giorgio uns, Maria und ihre Zofe mit einem Motorboot abholen und zum Bahnhof bringen soll. Leider wollte der Plan, wie so oft in solchen Fällen, nicht ganz gelingen. Die zwei Männer, die Marias Tür bewachten, wollten nichts essen und waren darum auch überhaupt nicht schläfrig als Louisa und Lucy an der Türe klingelten. Irgendwie kam es zum Tumult und es entwickelte sich eine richtiggehende Schiesserei, in deren Verlauf Giorgio einer der Wachen erschoss und Mayumi und Lucy leider verletzt wurden.

Ich wartete beim Eingang und als alle aus dem Haus und ins Boot stürmten, sprang auch ich ins Boot und mit Volldampf fuhr Giorgio zum Bahnhof. Giorgio, Maria und Rebecca bestiegen den Orientexpress und fuhren zurück nach Mailand. Nach diesem turbulenten Abend haben wir uns unseren Schlummertrunk redlich verdient.

 Nun, liebste Charlotte, das ist alles was es diesmal zu erzählen gibt. Ich gehe jetzt schlafen und hoffe, dass wir morgen weiter kommen. Der Gestank des Wassers ist wirklich schier unerträglich und die bedrückte Stimmung in der Stadt drückt aufs Gemüt. Es wird Zeit, dass wir hier weg kommen.

  

Alles Liebe und bis bald,

 Deine Catherine

 

 

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