Orient Express Kampagne

Spielbericht – Session 5 (29.1. bis 31.1.1920)

                        Paris, im Februar 1921

 Meiner lieben Freundin Charlotte

Charlotte, meine Liebste! Einige Zeit ist verstrichen seit meinem letzten Brief aus London und das Abenteuer, in das wir hier geraten sind, wird immer absonderlicher. Du musst unbedingt hierher kommen, ich weiss doch, wie sehr Du dich für Okkultismus interessierst. Und vielleicht hättest Du sogar eine Erklärung für all die sonderbaren Dinge die uns widerfahren. Hast Du schon etwas in Erfahrung bringen können?

Entschuldige, liebste Charlotte, ich bin wohl etwas durcheinander. Am besten beginne ich am Anfang. Wie Du weißt, wollten wir den Orientexpress nach Paris nehmen. Leider erkrankte ich an einer ganz fürchterlichen Grippe und ich konnte nicht reisen. Da wir durch unser letztes Abenteuer schon so viel Zeit verloren hatten, beschlossen wir, dass die anderen, wie geplant, den Zug nach Paris nehmen und ich dann nachkommen sollte.

Während meine lieben Freundinnen bereits in Paris waren, geschah in der National-Bibliothek in London ein schrecklicher Mord. Die Bibliothek war vier Tage geschlossen. So etwas gab es meines Wissens noch nie. Als ich hörte, dass der Tote Beddows hiess – Du erinnerst

Dich, der Butler von Arthur Schmith hiess Beddows – versuchte ich natürlich mehr über die Identität des Toten und die Umstände seines Todes in Erfahrung zu bringen. Viel war es leider nicht. Aber es handelte sich tatsächlich um den Butler von Arthur Schmith und auf seinem Arm hatte der Tote merkwürdige Worte eingeritzt: „KIMSE PERISIZDEN KAç AMAZ“. Ich hoffe, ich habe die Buchstaben richtig entziffert. Sei bitte so lieb und schaue in Deinen schlauen Büchern nach, ob Du eine Übersetzung oder Deutung davon findest.

In Paris erfuhr ich, das die ganze Gruppe in Poissy weilte, wohl auf einer heissen Spur. Im selben Zug fuhr auch Lucy mit, eine Bekannte von Mayumi, wenn ich recht informiert bin. Sie ist Ärztin und wird uns begleiten. Ohne Zweifel werden uns ihre profunden Kenntnisse der Medizin noch von Nutzen sein.

Nun, jedenfalls trafen wir zusammen in Poissy ein und gerade rechtzeitig, um beim Dorfarzt, dem lieben Doktor Christian Laurion zu Abend zu essen. Unsre Freundinnen hatten das alte Anwesen von Comte Fenalik gefunden, es war nun der Sitz des Arztes. Viel erfuhren Lucy und ich nicht über das bereits Geschehene, aber besonders viel schien es auch nicht zu sein. Die Freundinnen hatten eine verschüttete Treppe im Garten gefunden und erbaten sich vom Doktor die Erlaubnis, die Treppe ausgraben zu dürfen. Eine hervorragende Idee!

Der Doktor ist ein vorzüglicher Koch mit einer ganz reizenden kleinen Tochter und einer leider sehr kranken Frau. Eine grässliche Gicht plagte sie und Linderung hatte sie nur, wenn sie den Ort verliess und zu ihrer Familie in den Midi fuhr. Der Doktor schob es auf das feuchte Klima.

Die Tochter hatte den Arm dick verbunden, nachdem sie sich an einer Dorne die Haut geritzt hatte. Entweder ist die Familie wirklich kränklich oder diese Schwächen hatte etwas mit der Statue zu tun. So etwas würde uns nach all den Erlebissen nicht mehr überraschen.

Der Arzt gab die Erlaubnis zum Graben ohne zögern und vermittelte uns auch vier Arbeiter mit Werkzeug. Besonders eifrig waren die zwar nicht am Werke, aber bei Ausgrabungen ist mir tausendmal lieber sie arbeiten langsam als dass sie drauflos schaufeln und hacken wie die Wilden und womöglich alles kaputt machen.

Luschenka erkundete noch einmal den Garten und dabei stach sie sich an einer Rose. Wie ungeschickt! Das passt doch gar nicht zu ihr. Die Wunde wurde sehr schnell sehr gross und hässlich und Luschenka brach zusammen. Lucy diagnostizierte eine schwere Vergiftung und verordnete Bettruhe. Jetzt wussten wir auch, warum der Arm der Tochter des Arztes nach einer scheinbar so kleinen Verletzung so dick eingebunden war. Doch was war mit diesen Rosen? Eine unbekannte, giftige Art? Oder gab es dafür eine andere Erklärung? Du wirst verstehen, liebste Charlotte, dass wir nach all dem bisher erlebten die wildesten Gedanken hegten. Und ich übertreibe nicht wenn ich sage, dass unsere Gedanken von dem Gesehenen noch bei weitem übertroffen wurden!

Bis am Abend war die Treppe freigelegt und wir standen vor einer massiven, genieteten Eisentüre. Wir beschlossen, mit dem Öffnen der Türe bis zum nächsten Morgen zu warten da es bereits eindunkelte. Die Arbeiter erhielten einen mit Laudanum versetzten Schluck Absinth und wurden entlassen – so würden sie gut schlafen, auf keinen Fall sollten sie nachts auf die Idee kommen den Keller hinter der Türe zu erkunden. Wir gingen in unser Hotel zurück und legten uns erschöpft hin.

Am anderen Morgen war ausser dem lieben Doktor Laurion und uns niemand im Garten. Lucy hatte es wohl etwas zu gut gemeint mit dem Laudanum!

Nur mit grösster Anstrengung gelang es Luschenka und Luzia, die Türe aus den Angeln zu heben. Vor uns tat sich ein langer, gerader Gang auf. Luschenka, die mutige, wagte sich als erste hinein, gefolgt von Luzia, mir, Lucy und Mayumi. Louisa und der Herr Doktor blieben am Eingang zurück. Kräftige, modrige Luft schlug uns entgegen. Der Gang verlor sich im trüben Licht der Lampen. Links und rechts war der Gang gesäumt von Türen, alle genau gleich, wie Zelletüren, mit kleinen Gucklöchern und altmodischen Riegeln. In der ersten Zelle lag ein Haufen Knochen, den Mayumi unzweifelhaft als menschlich identifizierte. Ein Teil der Knochen war von dicken, dornenbewehrten Wurzeln umrankt, die eine zähe, übelriechende schwarze Flüssigkeit absonderten. Derweil spähte ich in den Raum rechts des Ganges. Auch dieser schien, wie der erste, sehr klein, etwa zwei mal zwei Meter. Und in der Mitte stand etwas. Es könnte ein Schrank sein. Der Riegel der Türe fehlte, sie war nur angelehnt. Auf mein energisches Flüstern eilten die anderen herbei und wir öffneten die Türe. In der Mitte stand tatsächlich so etwas wie ein Schrank. Es war eine Eiserne Jungfrau. Eiskalte Schauer liefen mir über den Rücken und mir fiel ein, dass dem Comte vorgeworfen wurde, wilde Orgien veranstaltet zu haben. Das hatte doch nicht etwas mit diesen Vorwürfen zu tun? Ich zog den Bolzen aus dem Verschluss der Jungfrau und sie öffnete sich einen kleinen Spalt breit. Süsser, schwerer Geruch strömte aus und ich glaubte, ein ganz leises, seltsames Geräusch zu hören. Rasch und möglichst geräuschlos zogen wie uns zurück. Beim Eingang zum Keller trafen wir auf Louisa und den Herrn Doktor, die da auf uns gewartet hatten. Wir versuchten uns so gut es eben ging zu Bewaffnen. Der Doktor nahm sein altes, museumsreifes Gewehr, wir Damen bewaffneten uns, gar nicht damenhaft, in der Werkstatt des Doktors mit Spitzhacken, Schaufeln und dergleichen. Das musste reichen. So bewaffnet gingen wir zurück und stiegen wieder in den Keller hinab. Diesmal kamen auch Louisa und der Doktor mit. Während die einen noch debattierten nahm ich meinen Mut zusammen und öffnete die  Jungfrau. Der Geruch wurde sehr stark und am Boden lagen Knochen und Stofffetzen, in einer klebrig-öligen, schwarzen Masse. Luzia steckte einen Stock in die Masse, schwarze Sporen stieben auf.

Wir gingen in den Gang zurück und folgten diesem. In anderen Zellen hingen Körbe mit Knochen an der Wand, Wurzelranken flochten sich darum. Von den Wurzeln lief ölig-schwarze Flüssigkeit an den Wänden hinab. Luschenka versuchte eine Wurzel zu zerschneiden. Sie war sehr hart. Vor uns schimmerte ein schwaches Licht. Es schien unregelmässig, ja pulsierend zu leuchten. Und plötzlich öffnete sich der Gang und vor uns lag ein riesiger Raum. An Wänden und Decke rankten sich Rosen, armdick und mit fingergrossen Dornen bewehrt. Ein Meer von Blüten schmückte die Ranken, gross wie Unterteller und in den schönsten Farben leuchtend. Wunderschön und doch auch sehr unheimlich. Voller Faszination und zutiefst erschrocken schauten wir uns um. Überall war dieses klebrige, ölige schwarze Zeug, an den Wänden, an der Decke. Uns allen war klar, dass diese Rosen zu den seltsam giftigen Rosen im Garten des Doktors gehörten.

Die pulsierende Lichtquelle kam aus der Mitte des Raumes. Auf einer Art Altar, kaum sichtbar unter den Ranken, lag die Lichtquelle. Erst bei näherem Herantreten erkannten wir, was die Lichtquelle war: ein Arm mit Hand, lebensgross. Es musste sich um einen Teil der gesuchten Statue handeln!

Der liebe Doktor stammelte etwas und stolperte aus dem Raum. Wir lösten uns aus der Erstarrtheit, die uns beim Anblick des Raumes erfasst hat. Lucy versuchte durch die Dornen nach dem Arm zu greifen. Luschenka will sie davon abhalten und schlägt ihr auf den Kopf. Das Gift der Rosen muss sie völlig um den Verstand gebracht haben! Sie verlor das Gleichgewicht und fiel in die Ranken. Luzia griff nach Lucys Morphiumspritze und injizierte die Arznei in die Ranke. Sofort begannen die Rosen zu welken. Jetzt war auch der Doktor mit einer Gartenschere zurück und begann wie wild in die Ranken zu schneiden. Sein Handeln zeigte Wirkung und auch Luzia und ich begannen, auf die Ranken einzuhacken. Wir hatten durch Zufall wohl die nützlichsten Waffen ergattert die wir da hätten finden können. Die Blütenpracht sank in sich zusammen, verlor die schillernden Farben, die Blätter begannen zu welken. Luschenka versuchte, den Arm an sich zu nehmen, aber noch versperrten zu viele von den gefährlichen Ranken den Weg. Tiefe Kratzer zwangen sie loszulassen und sie sank ohnmächtig zu Boden. Wir hackten weiter. Die Ranken waren unglaublich zäh und es waren so viele! Wir kammen nur langsam voran.

Luzia riss den Arm vom Altar. Blut und die schwarze, ölige Flüssigkeit spritzte weg, es war grauenhaft!

Das Licht erlosch und sofort welkten alle Blätter, die Ranken begannen zu schrumpfen. Wir rannten mit den beiden Schwerverletzten raus an die frische Luft. Eine grosse Erleichterung überkam uns als wir endlich wieder in der Sonne standen. Ich hätte nicht zu sagen vermögen, wie lange wir in diesem Keller waren, aber es kam mir vor wie eine Ewigkeit.

Liebste Charlotte, mir ist bewusst, das die Geschichte wohl erfunden klingt, aber glaube mir, sie ist wahr, bis ins kleinste Detail. Und wem könnte ich sie anvertrauen wenn nicht Dir?

Luschenka und Lucy erholten sich ausserordentlich schnell, auch Luzias Kratzer waren bald kaum mehr zu sehen, das Gift schien seine Stärke eingebüsst zu haben. So konnten wir bereits am nächsten morgen Poissy verlassen und nach Paris zurückkehren. Wie freute ich mich darauf! Endlich wieder in Paris! Wunderschönes Wetter herrschte, als wir uns auf die Rückreise machten. Nur für einen kurzen Moment schien ein grünlicher, wabbernder Nebel das Wetter etwas zu trüben. Doch so schnell wie er gekommen war, war er auch wieder weg. Oder war er gar nie da?

Die Fahrt nach Paris war angenehm ereignislos und im Hotel erwarte uns bereits Rémy. Rémy wurde von meinen Freundinnen beauftragten, Informationen einzuholen. Und wie es schien, hatte er auch etwas in Erfahrung bringen können. Comte Fenalik wurde zwar zum Tode verurteilt, doch das Urteil wurde nicht vollstreckt sondern in eine Einweisung in die Irrenanstalt umgewandelt. Und zwar wurde er in die Anstalt von Charenton eingeliefert. Leider fanden sich keine weiteren Angaben, weder zu Therapie, noch zu seinem Tod. Auch über einen eventuellen Transport war nichts in Erfahrung zu bringen. Rémy entschuldigte sich, er wolle ausgehen.

Jetzt sitzen wir also im Salon in unserem gemütlichen Hotel und ich kann es schon fast selber nicht mehr glaube, was wir erlebt haben! Wie ich es Dir hier schreibe, erscheint es mir mit einem Male so unwirklich. Oh, was war das? Liebste Charlotte, eben hörten wir einen Schuss aus dem Park, oh, jetzt ein Schrei. Du entschuldigst, wenn ich meine Gedanken kurz unterbreche.

Liebste Charlotte, da bin ich wieder. Der gehörte Schrei kam von Rémy. Sofort sind alle rausgerannt zu einem kleinen Pavillion im Park. Rémy trägt ein totes Mädchen aus dem Pavillion, sie hiess Charlotte, wie Du, und trug ein schneeweisse Kleid. Auf ihrem Kleid breitet sich ein grosser Fleck Blut aus und tropft zu Boden. Dann hören wir einen zweiten Schuss. Ein Mann, wohl der Mörder des Mädchens, hat sich selber erschossen. Meine Freundinnen nennen ihn „das Senfgesicht“.

Charlotte, meine liebste, wie Du siehst habe ich während meinem verlängerten Londonaufenthalt wohl doch einiges verpasst. Ich muss unbedingt meine Freundinnen noch ausführlich über ihre bisher in Paris gemachten Abenteuer und Erkenntnisse befragen, dann kann ich mir auf das eben geschehene einen besseren Reim machen. Und natürlich werde ich dich auf dem Laufenden halten.

Ah ja, fast wäre es untergegangen, in der Zeitung stand, dass es in Charenton einen Brand mit Toten gab. Ob das wohl auch mit unserer Geschichte zu tun hat?

 

Alles Liebe und bis bald,

Deine Catherine

PS: Der gefundene Arm ist ca. 10 kg schwer, ganz weiss und aus einem uns unbekannten Material, es sieht aus wie weisser Marmor. Weißt Du vielleicht etwas darüber?

 

 

 

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