Orient Express Kampagne

Spielbericht – Session 2 (14.1. bis 23.1.1920)

Meiner lieben Nichte Gudrun

Liebste!

Unglaubliches widerfährt mir und meinen Freundinnen hier in London. Was ursprünglich als Besuch bei Professor J.A. Smith anfing, hat sich in ein veritables Abenteuer entwickelt. Wir sind mittlerweile auf der Suche nach einer mysteriösen Statue, die, in Teile zerschlagen, offenbar in ganz Europa verteilt ist. Bevor wir uns jedoch auf unsere Reise aufmachen, muss ich leider berichten, dass unsere Freundin Luschenka unter unglaublichen Umständen schwer verunfallt ist. Die Geschichte, die ich dir gleich erzählen werde, ist so unglaublich, dass wir nach meiner Rückkehr uns im Salon ausführlich darüber unterhalten müssen. Ich versichere dir, liebe Nichte, jedes Wort ist wahr!

Nachdem der Professor nicht mehr aufzufinden war, haben wir uns entschlossen die Reise mit dem Orient Express anzutreten. Wenig wussten wir vor ein paar Tagen wie sehr uns Züge bereits in London beschäftigen würden! Als wir am Frühstückstisch die neusten Ereignisse revuepassieren liessen, ist Lukaschenka ein Zeitungsartikel in der Morgenzeitung aufgefallen:

Ein Herr Henry Stanley aus Stoke Newington sei vermutlich das Opfer einer Selbstentzündung. Am Unglücksabend sei aus seinem, von innen verriegelten Zimmer, ein Schrei und anschliessend Rauch gedrungen. Am Ort des Verschwindens wurde lediglich eine Modelleisenbahn aufgefunden, die kürzlich von Herrn Makyrat erworben worden ist.

Dieser ist uns kein Unbekannter, denn er steht in Zusammenhang mit Ereignissen um unseren Professor. Aus diesem Grund haben wir  beschlossen den Ort des Geschehens aufzusuchen. Cathrine, Lukaschenka und ich haben die Schlummermutter Frau Constance Atkins besucht und erfahren, dass Herr Stanley ein zurückgezogenes Leben, ganz im Dienste seines Hobbys Eisenbahn, geführt hat. Das Zimmer war bedeckt mit einer Russschicht und wir entdeckten zwei unerklärliche, paralelle Abdrücke auf dem Boden. Die Modelleisenbahn war von der Polizei zur weiterer Untersuchung der Trainspotter-Association (der Stanley angehört) übergeben worden. Auf dem örtlichen Polizeiposten gab uns Wachmeister Garrison zu verstehen, dass er nicht an eine Selbstverbrennung glaubt. Frau Atkins, eine geschäftstüchtige Frau, hat uns das Zimmer vermietet und wir haben uns auf diese Weise freien Zugang zum Zimmer beschafft. In einer Schulblade entdeckten wir eine Einladung zum jährlichen Bankett der Trainspotter-Association im Hotel Camberwell. Das Bankett war am selben Abend.

Mayumi und Louisa mittlerweile, haben in der Bilbliothek ein okkultes Buch ausfindig gemacht, dass von Herrn Randolf Alexis verfasst worden ist. Alexis gilt als Teufelanbeter und sein Name ist uns im Büro von Herrn Makyrat begegnet. Aus Unterlagen war zu entnehmen, dass die Modelleisenbahn unsprünglich aus dessen Nachlass stammt und später an Stanley verkauft worden war. Aus einem alten Zeitungsartikel war zu entnehmen, dass Alexis das Opfer eines mysteriösen Zugunglücks  geworden war. Am 7. Mai 1897 war der Schnellzug von London nach Liverpool entgleist. Aus bis Heute ungeklärten Gründen blieben die Lokomotive und die ersten beiden Passagierwagons unauffindbar. Man vermutet, dass bis zu 100 Todesopfer in den Wagons zu beklagen sind.

Da wir als ehrenwerte Ladies nicht ohne Einladung an dem Bankett im Camberwell auftauchen wollten, haben wir den Präsidenten der Trainspotter-Association, Herrn Arthur Butters zu Hause besucht. Dieser hat uns sogleich die Modelleisenbahn gezeigt, die zuletzt im Besitz von Stanley war. Butters machte uns, nicht ohne Schaudern,  darauf aufmerksam, dass es sich um eine getreue Nachbildung des Unglückzuges (einer Hemford 51) aus dem Jahre 1897 handelt. Die Strecke war in einer eigenartigen, verschlungene Acht angelegt und bei genauerer Untersuchung der Wagons entdeckten wir, dass auf der Aussenseite Schutz- und Reisesymbole eingeritzt worden waren. Butters liess es sich nicht nehmen uns eine kleine Demonstration der Modelleisenbahn zu geben. Sie schien einwandfrei zu funktionieren. Da er keine weitere Verwendung für die Bahn hatte, überliess er sie uns. Unsere bevorstehende Zugreise veranlasste Herrn Butters, ganz ohne unser zutun, uns zum abendlichen Bankett einzuladen.

Der Abend war, gelinde gesagt, unglaublich langweilig! Nichts im Vergleich zu unseren rauschenden Festen im Salon, liebe Nichte! Dennoch haben wir ein weiteres Teil unserem Puzzle beifügen können. Es wurde klar, dass die Modelleisenbahn (eine elektrifizierte) nicht, wie zuerst vermutet, von Randolf Alexis, sondern nur von dessen Sohn gebaut worden sein konnte. Ausserdem schien es ein Mitglied der Trainspotter-Association zu geben, Herr Walter Partrige, der am selben Tag wie wir die Reise mit dem Orient Express antreten würde.

Am nächsten Tag statteten wir der Witwe Alexis einen Besuch ab. Gerlinde Alexis stammt aus Ostpommern, ihr Vater war der Freiherr von Krengelberg. Was hat die Frau Alles durchleben müssen! Zuerst starb ihr Mann unter schrecklichen Umständen im mysteriösen Zugunglück 1897, dann verschwand ihr Sohn Albert aus seinem geschlossenen Zimmer 1917. Wiederum sind die Umstände ungeklärt, sie erinnerten uns jedoch stark an das Verschwinden von Stanley.

Langsam dämmerte uns, dass das Verschwinden irgendwie mit der Modelleisenbahn zu tun hat.

Am Vorabend liessen wir die Modelleisenbahn auf das Zimmer von Henry Stanley nach Newington bringen. Als wir uns dort einfanden, mussten wir zuerst beraten wie vorzugehen sei. Wir beschlossen uns aufzuteilen, damit, falls etwas Unvorhergesehenes  geschehen sollte, die Anderen zu Hilfe eilen konnten.

Lukaschenka und Cathrine stellten sich für unser Experiment zur Verfügung. Durch die Türe informierten sie uns was drinnen geschah. Nachdem der Zug einige Runden gedreht hatte und nichts geschah, entspannten wir uns ein wenig. Nach der 23. Runde jedoch, ertönte ein ohrenbetäubendes  Getöse und unter dem Türspalt drang schwarzer Qualm hervor. Was währenddessen geschah, konnte uns Cathrine erst nach ihrem beherzten Sprung aus dem Fenster berichten: Es sei im Zimmer ein Zug erschienen, aus dem einige blasse, verwirrte Reisende ausgestiegen waren. „Sind wir endlich da? Komm mit uns! Hier ist doch der Bahnhof Liverpool?!“, haben sie unentwegt gefragt. Lukaschenka wurde von den reisenden eingenommen und Cathrine sei zu dem Zeitpunkt aus dem Fenster gesprungen. Das Zimmer war voller Rauch und leer.

Was tun? Ohne viel zu überlegen beschlossen wir, den Zug ein weiteres Mal heraufzubeschwören und Lukaschenka aus dem Zug zu befreien. Diesmal sollte ich es sein, die sich zur Verfügung stellt. Damit ich nicht auch noch Opfer des Zuges werden sollte, banden meine Freundinnen mir einen Strick um den Bauch, an dem sie mich und Lukaschenka zurückziehen sollten.

Und wiederum liessen ich die Modelleisenbahn laufen. Plötzlich erschien unter Getöse ein Zug und ich fand mich, ohne etwas dagegen unternehmen zu können, in diesem schrecklichen Zug wieder.

Neben diesen garstigen Reisenden fand ich Lukaschenka ganz hinten im Zug wieder. Sie hatte sich in der Zwischenzeit Schutzsymole auf Stirn und Arme gezeichnet und es schien die Reisenden davon abzuhalten sich ihr zu nähern. Sie malte mir auch einige auf und wir arbeiteten uns nach vorne durch den Zug in Richtung Lokomotive. Zum Glück war der vordere Wagen leer. Oder zumindest dachten wir dies. Im ersten Abteil lag Etwas unter einer Decke es schien ein Klumpen Fleisch zu sein, fast rasend vor Angst gingen wir weiter. Etwas weiter vorne stiessen wir auf Henry Stanley. Er sass apathisch auf der Bank und wiegte sich hin und her. Trotz unseren Versuchen mit ihm zu reden, gelang es uns nicht zu ihm durchzudringen. Unentwegt murmellte er unverständlich vor sich hin. Erst dann realisierten wir, dass noch jemand im Wagon war. Ein Mann mittleren Alters mit glühenden Augen näherte sich uns. Was wir hier zu suchen hätten, fragte er uns. Er habe zu tun und müsse die Modelleisenbahn fertigstellen, dann sei er endlich frei. Er, Randolf Alexis werde frei sein.

Was sich unseren Augen im Abteil darbot, trieb uns an den Rand des Wahnsinns. Auf dem Boden, gefertigt aus Knochen, Hautfetzen und Sehnen war das Modell einer Bahnstrecke. Ein getrocknetets Herz diente als Zug. Panisch fragten wir woher er die Knochen stammten, da herrschte er uns an, sein Sohn sei schwach gewesen, unwürdig und er musste doch leben.

Obwohl ich in unserer Lage keinen klaren Gedanken fassen konnte, erinnerte mich das grausige Modell an eine Form die ich bereits gesehen hatte. Lukaschenka bemerkte dies auch stellte fest, das Modell sei eine zweidimesionale Repräsentation der Modelleisenbahn seines Sohnes. „Zweidimensional?“, schrie Alexis „Mein Sohn hat ein DREIDIMENSIONALES MODELL gebaut?“ Er wollte sofort wissen wie die ursprüngliche Strecke ausgesehen hat. Unter der Drohung uns etwas anzutun, mussten wir die Bahnstrecke so verändern, wie wir es am Original gesehen hatten.

Dann, liebe Nichte  begannen wir wiederum diese garstige Modelleisenbahn in Betrieb zu nehmen. Dabei mussten wir, und ich schäme mich so, das getrocknete Herz als Zug über die Schienen bewegen. Je mehr wir das Herz bewegten, desto mehr veränderte sich der Zug und die Insassen. Alexis war schäumte vor Wut und Begeisterung und Stanley begann laut einen Fahrplan zu rezitieren. Ich weiss nicht wann und warum, aber plötzlich waren wir wieder in der Realität. Der Zug raste auf Schienen von London Richtung Liverpool. Stanley wurde immer lauter: „ Es ist 14:32....der Güterzug E452 nach London müsste fällig sein!! Wir müssen sofort hier raus!“ Wir sind gesprungen. Ohne zu überlegen sind wir um unser Leben gesprungen.

Lukaschenka hat sich beim Aufprall das Becken gebrochen und ich meinen Arm. Gleichzeitig ist der Güterzug in unseren gerast wobei beide Züge regelrecht explodiert sind. Das wir dies überlebt haben grenzt an ein Wunder und mir zittern die Hände heute noch wenn ich dir darüber schreibe. Stanley hat überlebt, ich weiss aber nicht wie schwer er verletzt ist. Und Alexis war nach dem Aufprall unauffindbar. Ich glaube aber, kurz vor meiner Ohnmacht gesehen zu haben, wie sich eine Gestalt vom Unglücksort entfernt.

Ich kann es dir nicht verübeln, wenn du meinen Worten keinen Glauben schenkst. Doch so wahr ich dir schreibe, dies Alles ist wirklich geschehen.

Zünde uns doch eine Kerze an.

Auf ein glückliches Wiedersehen

Deine Tante Luzia

cthulhu.ch