Orient Express Kampagne

Spielbericht – Session 6 (1.2. bis 2.2.1920)

Signora Donatella Francesca
Salvoni Via Piave, 11
30100 Venezia Italia

Pension Marlise
c/o Frau Louisa Gerlich
Rue du Simplon 2
CH-1006 Lausanne

Lausanne, den 2. Februar 1921

Meine liebe Donatella

Wie du an meiner Adresse wohl sicherlich schon bemerkt hast, nähern wir uns langsam aber sicher Italien. Unser geplantes Treffen wird also voraussichtlich nicht so mehr so lange aus sich warten müssen. Ich freue mich schon auf ein Wiedersehen mit dir.

Aber nun will ich dich nicht länge auf die Folter spannen und dir von unseren aktuellen Erlebnissen berichten. Ich spiele ja schon mit dem Gedanken, unsere Abenteuer und Brief zu veröffentlichen. Aber ich schweife vom Thema ab.

Du wirst es nicht für möglich halten. Aber wir konnten gestern endlich die Reise im Orient Express antreten. Was war ich aufgeregt. Auch für mich war es das erste Mal, in so einem luxuriösen Zug zu reisen. Man las ja immer wieder Berichte darüber, wie bequem die Reise sein soll. Und das Essen und der Service sollen überwältigend sein. Du kannst dir also vorstellen, dass meine Erwartungen dementsprechend hoch waren.

Am 1. Februar 1921 zu später Stunde (22 Uhr) fanden wir uns im Gare du Nord ein. Nach kurzem Suchen betraten wir dann den Bahnsteig, wo der Orient Express stationiert war. Oh, Donatella, das musst du selbst erlebt haben. Was für ein Anblick! Schon beim ersten Blick konnte man erkennen, dass dies kein gewöhnlicher Zug war. Über die ganze Zuglänge war eine Kordel gespannt, die, so vermute ich jedenfalls, Schaulustige davon abhalten sollte, den Zug zu betasten oder gar zu betreten. Das war sicher auch notwendig. Überall standen Leute herum, die offensichtlich nicht mitreisen wollen. Aber wie schon gesagt. Der Orient Express bot einen wundervollen Anblick. Die Lokomotive war herausgeputzt, dass man sich darin spiegeln konnte. Und die blankpolierten goldenen Leitungen blitzen mit den Sonnenstrahlen um die Wette. Aber auch die einzelnen Waggons waren eine Augenweide für sich. Alle in einem wunderschönen Königsblau gehalten, glänzte auf allen Wagen in goldenen Lettern der Name „Orient Express“. Ein Traum! Was uns aber zuerst auffiel, war die Anwesenheit von aussergewöhnlich vielen Journalisten. Wir schlossen daraus, dass eventuell eine berühmte Persönlichkeit mitreiste. Da waren wir gespannt. Natürlich konnte ich es mir nicht verkneifen, einen Gepäckträger nach dieser ominösen Person zu fragen. Nachdem ich ihm gesagt hatte, dass ich ein Reisegast wäre, gab er mir bereitwillig Auskunft darüber, um welche Person es sich handelte. Niemand geringeres als die Sopranistin Signora Cavollaro gab uns die Ehre.

Nun war es aber höchste Zeit. Nicht, dass der Zug noch ohne uns abfahren würde. Eine Katastrophe wäre das gewesen. Somit bestiegen wir schnell den Zug und überliessen unser Gepäck den zahlreichen hilfsbereiten Gepäckträgern, die sich auf dem Bahngleis aufhielten und nur darauf warteten, den Reisenden behilflich zu sein. Nicht einmal ein Trinkgeld wollten sie. Nun ja, das Reiseticket hatte auch genug gekostet. Einen gewissen Service konnte man da schon erwarten.

Schnell fanden wir unser Abteil, wo uns auch schon der Chef du train begrüsste. Er wünschte uns einen schönen Aufenthalt und erkundigte sich nach unseren Reiseplänen. Da unsere nächste Station Lausanne hiess, würden wir die Annehmlichkeiten des Orient Expresses nicht lange in Anspruch nehmen können. Aber die Reise wollen wir ja so schnell wie möglich fortsetzen. Somit hiess es für uns, schon am nächsten Tag um 05 Uhr aufzustehen und den Zug nach einer kleinen Erfrischung zu verlassen.

Aber natürlich, liebste Donatella, möchte ich dir unseren abendlichen Aufenthalt im Orient Express nicht vorenthalten. Schnell hatten wir uns in unseren Kabinen eingerichtet. Gross war es ja nicht gerade. Mayumi und ich fanden, dass ein wenig mehr Platz kein Luxus gewesen wäre. Unser Schrankkoffer hatte mit viel Drücken und Stossen in einer Ecke Platz. Mehr auch nicht! Ich hätte schon ein wenig mehr erwartet. Doch die Enttäuschung war nur von kurzer Dauer, als ich sah, dass wir ein eigens Waschzimmer hatten; sogar mit fliessendem Wasser. Wo hat man so was schon gesehen? Nun knurrte uns allen aber schon ein wenig der Magen. Freundlicherweise wurde uns noch ein Abendessen serviert. Es wurde an alles gedacht. So fanden wir uns kurze Zeit später im Speisewagen ein und studierten die Speisekarte. Die Gänge tönten verführerisch und ich war gespannt auf die einzelnen Gerichte.

Mayumi, Lucy und ich setzten uns an einen Vierertisch. Luzia und Catherine sassen diagonal von uns an einem anderen Tisch. Es ging nicht lange, da setzen sich zwei Herren, die etwa im selben Alter waren wie sie, an ihren Tisch. Dr. Gaspari war ein Doktor der Medizin und Herr Dr. Visconti sein Assistent. Leider haben sich Luzia und Catherine schon bald gelangweilt. Darum haben wir uns nach diesem vorzüglichen Mahl rasch von Ihnen verabschiedet. Luzia und Catherine gingen ins Bett. Wir anderen wollten noch an die Bar. Leider wurden wir die Tischnachbaren von Luzia und Catherine nicht los. Sie verfolgten uns auf Schritt und Tritt. Aber was solls. Wir hofften, dass wir an der Bar vielleicht einen Blick auf die Sopranistin werfen könnten. Wir wurden nicht enttäuscht. Ohne viele Überredungskünste liess uns ihr Leibwächter durch. Ich gesellte mich zu einem Herren namens Thodakis, ein Schiffreederer aus Griechenland. Ich habe mich gut mit ihm unterhalten und vielleicht auch ein, zwei Gläschen zu viel getrunken. Jedenfalls torkelte ich schon beachtlich in meine Kabine zurück, nachdem wir noch die Visitenkarten ausgetauscht hatten. Meine Freundinnen gingen schon mal vor. Erstaunlicherweise fand ich unser Abteil sehr schnell. Und das bei meinem Zustand. Lach!

Viel zu früh wurden wir am nächsten Tag aus dem Schlaf gerissen. Aber der Zug war in Lausanne angekommen. So standen wir um ca. 05.45 Uhr auf dem Bahnsteig. Die Schrankkoffer vor uns aufgetürmt und noch halb am Schlafen. Zum Glück konnten wir schon zu so früher Stunde eine Droschke auftreiben, die uns zu der Pension Marlise fuhr. 300.- Schweizerfranken für zwei Zimmer waren zwar nicht gerade billig. Aber so früh am Morgen war uns fast alles recht. Nach einem kurzen Frühstück machten wir uns auf an die Rue Etienne, wo ein gewisser Edgar Wellington wohnte. Ich habe dir von ihm erzählt. Dort angekommen, standen wir vor einem Tierpräparatoren-Geschäft. Was für ein aussergewöhnlicher Beruf. Um den Mann nicht einzuschüchtern und uns ein besseres Bild von ihm zu verschaffen, teilten wir uns auf. Wir sollten uns mal allgemein erkundigen. Die anderen würden dann den Herren genauer befragen. Wie voraus zu sehen war, fanden wir nicht sehr viel heraus. Immerhin wussten Mayumi und ich nach unserem Besuch bei Herrn Wellington, was das Ausstopfen ihrer zwei Vögeln kosten würde. Und wir lernten seinen Bruder kennen; William Wellington. Ein ganz sonderbarer Zeitgenosse. Er konnte nicht reden und sein Kopf schien leicht verformt. Jedenfalls konnte ich das erahnen, da er eine Mütze trug. Er war im Krieg von Verdun. Vermutlich hatte er einige Kriegsverletzungen davongetragen.

Unsere drei anderen Freundinnen waren da schon erfolgreicher. Herr Edgar Wellington war sehr freundlich zu ihnen und hat ihnen erzählt, dass er die Informationen über das Sedefkar Simulakrum aus einer Schriftrolle stammte, die sie von einem gewissen Raoul Vallon hatten. Insgesamt waren es, laut der Aussage von Wellington, fünf Schriftrollen. Alle gehörten sie der Familie dieses gewissen Raoul Vallon. Im Krieg von Verdun tauschte dann dieser eine Schriftrolle gegen ein paar Zigaretten ein. Was für ein Tausch! Wellington konnte aber nur einen Teil der Schriftrolle entziffern. Die Schriften scheinen eine Anleitung zum Gebrauch des Sedefkar Simulakrums zu ent-halten. Handelt es sich dabei vielleicht um die Schriften, die wir zur Vernichtung der Statue benötigen? Oh Donatella, wir wären dem Geheimnis schon ein grosses Stück näher, wenn es so wäre. Drück uns die Daumen!

Sie haben mit Herrn Wellington abgemacht, dass ich die Schriftrolle begutachten darf. Er verlangt für die Rolle 250 Pfund. Ein angemessener Preis, finde ich. Wir müssen diese Rollen unbedingt haben. Leider interessiert sich auch ein Duc Jean Floressas des Esseintes für die Schriftrolle. Du fragst dich sicher, was dies für eine Person ist.

Meine drei Freundinnen haben ihn im Geschäft von Wellington kennengelernt. Eigentlich ein recht sympathischer Typ. Wir machten alle zusammen eine Stadtbesichtigung und er erzählte manche interessante Geschichte darüber. Trotzdem… meine Freundinnen schilderten mir, dass sich der Duc für Okkultismus interessiert und beim Wort Sedefkar Simulaktrum aufgehorcht hat, was mich mehr als misstrauisch macht. Allgemein bekannt ist dieser Name nun wirklich nicht. Ich traue ihm deshalb nicht über den Weg.

Jedenfalls hat uns Herr Wellington am Abend ins Hotel Bellrive eingeladen. Sie haben dort ein Treffen vom „Halb acht Club“. Dieser Club besteht aus den drei Leuten Graf Max von Würtheim, dem Duc Jean Floressas des Esseintes und Edgar Wellington. Was auch immer das heissen mag. Er wird die Schriftrolle mitnehmen. Nun, wir werden sehen. Ich werde dich auf dem Laufenden halten.

 

Alles Liebe

 

Deine Louisa

 

cthulhu.ch